Wetterarchiv Behrendorf

Hinweis: ab 1. Januar 2023 erfolgt die Aktualisierung der WsWin-Wetterdaten aus Behrendorf nur noch am 1., am 11. und 21. eines Monats. Aktuelle Daten gibt es unter https://wischewetter.info.

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Aktuelle Warnlage

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Wissenschaft kompakt

Der geostrophische Wind - in kleiner, "appetitlicher" Portion 



Das Thema des Tages geht heute der Frage nach, ob und inwieweit der 
Wind von der geographischen Breite abhängt.



In Mitteleuropa hat sich wettertechnisch aktuell ja etwas breit 
gemacht, was sich nicht nur wie Winter anfühlt, sondern was in 
höheren Lagen auch wie Winter aussieht - auch wenn der Blick auf den 
Kalender etwas anderes verspricht. Immerhin kann man aber 
konstatieren, dass sich über Mitteleuropa der Wind etwas beruhigt 
hat. Dieser ist in den vergangenen Tagen ja mitunter auch recht 
ruppig unterwegs gewesen.
 
Wenn man den Atlantik, das Mittelmeer oder auch das Nordmeer mit in 
die Betrachtung einbezieht, so zeigen sich aber auch aktuell einige 
Ecken, in denen der Wind auf die Tube drückt. Die beigefügte 
Abbildung zeigt für den gestrigen Mittwochmorgen in Gelb-, Orange- 
und Brauntönen Gebiete mit stärkerer Windentwicklung (Modelldaten aus
ICON). Diesbezüglich fällt die Nordsee ins Auge, aber auch der 
Nordatlantik südöstlich von Grönland oder das westliche Mittelmeer 
(die beiden letztgenannten Gebiete sind dabei mit einem roten Kreis 
markiert). Im Mittelmeer ist es übrigens der Mistral - das 
bekannteste Windphänomen im bzw. am westlichen Mittelmeer - der mit 
voller Sturmstärke aus dem Rhônetal in den Löwengolf weht. Weitere 
Informationen zum Mistral stehen übrigens im Thema des Tages vom 
5.11.2022 zur Verfügung.

Neben den Starkwindfeldern sind in der Karte noch einige Hoch- und 
Tiefdruckzentren sowie die Isobaren, also die Linien gleichen 
Luftdrucks zu erkennen. Auffällig ist, dass der Wind immer dort 
kräftiger ausfällt, wo die Isobaren relativ eng zusammen liegen. Man 
sagt auch der Druckgradient, also der Druckunterschied in einer 
vorher festgelegten Entfernung, ist hoch. Und dieser Druckgradient 
ist oftmals, aber nicht immer der Auslöser für starken Wind.

Bei genauem hinsehen fällt auf: Obwohl der Mistral sogar etwas 
stärker weht als der namenlose Wind südöstlich von Grönland, ist der 
Druckgradient über dem westlichen Mittelmeer ein wenig schwächer 
ausgeprägt als auf dem Atlantik. Die entsprechenden Zahlenwerte 
finden Sie in den jeweiligen Erklärungskästen. Der Isobarenabstand 
bezieht sich dabei auf einen Druckunterschied von 3 Hektopascal und 
wurde im Bereich des stärksten Windes ermittelt.

Ist das ein Widerspruch zu der Aussage, dass der Wind vom Luftdruck 
abhängt? Nein, es gibt natürlich eine Erklärung. Sie wird von der 
Formel für den geostrophischen Wind geliefert, hier in einer etwas 
abgespeckten und damit appetitlicheren (oder einfach nur leichter 
verdaulichen) Form. Der geostrophische Wind stellt sich ein, wenn nur
der Druckgradient und die von der Erdrotation verursachte 
Corioliskraft wirken. In der hier betrachteten zweidimensionalen Form
lautet sie 
v =  *
Diese Formel ist weit weniger kompliziert als sie auf den ersten 
Blick aussieht. Der Wind, hier mit v abgekürzt, ist proportional zu  
, dem letzten Faktor der Gleichung. Und der stellt letztendlich 
nichts anderes als den Druckgradienten dar, also die Änderung des 
Druckes p entlang einer Strecke x. Ist der Faktor groß, weht auch der
Wind v entsprechend stark. Und wenn  zunimmt bzw. abnimmt, nimmt auch
der Wind zu oder ab.
 
Im vorderen Teil der Gleichung stehen die drei physikalischen bzw. 
meteorologischen Größen ? (Rho), ? (Omega) und sin? (Sinus Phi). Sie 
stehen (zusammen mit dem Faktor 2, der hier im Weiteren unterschlagen
wird) alle im Nenner eines Bruchs. Mit anderen Worten: Wenn diese 
Werte anwachsen, wird der Wert des Bruches kleiner und der Wind nimmt
- von seinem Betrag her - ab.

Bei der Größe ? handelt es sich um die Winkelgeschwindigkeit der 
Erde, ein Maß für deren Rotationsgeschwindigkeit. Sie ist 
glücklicherweise konstant, sonst hätten wir zu den aktuell ohnehin 
schon großen Problemen auf unserem Planeten noch einige mehr zu 
meistern. Die zweite Größe ist ?, die Luftdichte. Ist sie hoch, etwa 
auf der Erdoberfläche, so ist der Wind relativ schwach. Ist sie 
gering, etwa in größeren Höhen, so ist der Wind kräftiger. Für unsere
Fragestellung aber ist sin? die entscheidende Größe. Dabei ist ? 
selbst der Winkel der jeweiligen geographischen Breite, d.h. ? ist am
Äquator 0°, am Nordpol 90° groß. Daraus ergibt sich für sin? am 
Äquator der Wert null, am Nordpol aber der Wert eins - und sin? wird 
kontinuierlich größer, je weiter man nach Norden zum Pol kommt. 

Bezogen auf die Windgeschwindigkeit lässt sich daraus ableiten, dass 
der Wind bei gleichem  und bei gleicher Luftdichte ? in höheren 
Breiten (also weiter im Norden) schwächer weht als in der Nähe des 
Äquators.

Und genau das konnte man auch am gestrigen Mittwoch beobachten. 
Obwohl im Bereich des Mistrals der Druckgradient etwas geringer 
gewesen ist als über dem Nordatlantik, zeigte sich der Wind dort 
schneidiger als im höheren Breiten. Und dieser Effekt ist genau 
diesen höheren Breiten geschuldet. 

Auf der Südhalbkugel verhält es sich übrigens ähnlich - aber mit 
umgekehrtem Vorzeichen. Der Wind wird bei gleichem Druckgradienten 
schwächer, je näher man zum Pol kommt. Aber er wird durch die 
Erdrotation dort in die andere Richtung abgelenkt. Mathematisch macht
sich dies durch ein "Minus" bemerkbar, das sich über sin? in die 
Gleichung "schummelt". Und offensichtlich zeigt sich dies auch daran,
dass auf der Südhalbkugel, im Gegensatz zur Nordhalbkugel, der Wind 
im Uhrzeigersinn um Tiefdruckgebiete und entgegen dem Uhrzeigersinn 
um Hochdruckgebiete weht.  

MSc.-Met. Martin Jonas  

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 25.04.2024

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